NICHTS

unversucht lassen

Nach einem Motorradunfall kam Justin Letzer (23) zur neurologischen Frührehabilitation an den RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt. Seine Genesung grenzt an ein Wunder.

Justin im Februar 2021...

... und im Oktober 2021 mit seiner Mutter Kirstin

Am Unfallort war Justin bereits für hirntot gehalten worden. Im Feierabendverkehr des 21. Oktober 2020 hatte eine Autofahrerin dem Motorrad, auf dem der 23-Jährige als Sozius saß, die Vorfahrt genommen. Bei Einlieferung mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma in die nahegelegene Heilbronner Klinik zeigte er doch leichte Pupillenreflexe. Die Ärzte entschlossen sich zur Schädel-Operation. Um Platz für die Hirnschwellung zu machen, entfernten sie einen Teil der Schädeldecke und versorgten die Hirnblutungen.

Viele Hochs und Tiefs

Es folgten bange Wochen, in denen Justin im künstlichen Koma lag. Justins Mutter, Kirstin Letzer, erinnert sich an viele Hochs und Tiefs: „Ich habe nur auf Autopilot funktioniert.“ Hoffnung auf Genesung hatten die Ärzte ihr wenig gemacht: „Wir rechneten entweder mit dem Schlimmsten oder mit einem Leben als Schwerstpflegefall.“ Die Verlegung an den RHÖN-KLINIKUM Campus Bad Neustadt Mitte November 2020 verdankte die Familie den Intensivmedizinern der neurologischen Frührehabilitation am Campus Bad Neustadt. Roland von Rein, Oberarzt und Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Campus: „Nach einem Gespräch mit dem behandelnden Oberarzt in Heilbronn organisierte dieser den Intensivtransportflug zu uns ans Klinikum, um ihn zunächst auf unserer Intensivstation und anschließend auf der Intermediate Care bestmöglich zu versorgen. Er kam zu uns in einem sehr ernsten Zustand mit einer kritischen und offenen Prognose.“

Schönstes Weihnachtsgeschenk

Kirstin Letzer hatte Justin wegen der baden-württembergischen Corona-Auflagen in Heilbronn täglich nur eine Stunde besuchen dürfen. Die bayerischen Auflagen untersagten die Besuche während des neunwöchigen Aufenthaltes im RHÖN-KLINIKUM gänzlich: „Das war sehr schwer für mich. Aber das Team hat sich immer etwas ausgedacht, damit ich die Fortschritte meines Sohnes begleiten konnte.“ Mal waren es Telefonate über Therapiepläne, Bilder vom ersten Sitzen auf dem Stuhl oder beim Langsam-wieder-Essenlernen, Videos der ersten Schritte mit dem Gehwagen. Videoanrufe während der Therapiestunden oder dazwischen, damit sie ihm aus ihrem Alltag erzählen konnte. Das schönste Weihnachtsgeschenk bekam Mutter Kirstin, als Justin einen Tag vor Weihnachten seine ersten Worte mit ihr sprechen konnte. Oberarzt von Rein: „Wir waren alle überrascht, wie schnell Justin deutliche Fortschritte bei uns gemacht hat. Wir wissen, wir können in unserer Frührehabilitation viel tun, aber wir können keine Wunder vollbringen.“ Dennoch grenzt die Genesung Justins an ein Wunder. Laut von Rein eine großartige Leistung aller: „Das kann man nur als Team erreichen und dafür sind wir sehr gut aufgestellt. Wir arbeiten mit Intensivmedizinern, Neurologen, Physio- und Ergotherapeuten, Neuro-Psychologen, Pflegeexperten, Versorgungsassistenten und administrativen Kräften an einem Strang.“

Erstes Treffen

Justin hat in den vergangenen zwölf Monaten laut seiner Mutter „die Entwicklung vom Baby zum Erwachsenen noch einmal im Schnelldurchlauf durchlebt“. Von Reins Fazit: „Nicht jeder Verlauf ist wie der von Justin Letzer. Niemand von uns hätte gedacht, dass er das erreicht. Daher lassen wir nichts unversucht, gerade bei jungen Menschen.“ Am 11. Januar dieses Jahres wurde Justin, zurück im Klinikum Heilbronn, eine Schädelplastik an die offene Stelle im Knochen eingesetzt. Nach neun Wochen konnte jetzt auch Kirstin Letzer ihren Sohn wieder besuchen. Das erste Mal in wachem Zustand seit dem Unfall: „Ich habe die Nacht vorher nicht geschlafen, so aufgeregt war ich. Da er zuerst nicht reagierte, habe ich kurz mal meinen Mundschutz gelupft, da hat er endlich gelächelt und meine Hand gedrückt.“

Wieder zusammenziehen

Fünf Tage später wurde er in die Hegau-Jugendwerk-Klinik in Gailing am Bodensee verlegt, eine Einrichtung, die sich auf die Rehabilitation von Kindern und jungen Erwachsenen spezialisiert hat. Dort wird er voraussichtlich noch bis Ende des Jahres bleiben. Danach werden Mutter und Sohn erst einmal wieder zusammenziehen, da er im Alltag noch Unterstützung braucht. Kirstin Letzer: „Man muss das Leben jeden Tag genießen, man weiß nie, wann es zu Ende ist. Wir haben gesehen, wie schnell es gehen kann.“

KONTAKT

Klinik für Neurologische Rehabilitation Chefarzt Dr. med. Volker Ziegler Tel. 09771 908 83200 Nachricht schreiben

FRÜHREHABILITATION: INTERMEDIATE CARE

Als eine der ersten Kliniken in Deutschland führte die Neurologische Klinik Bad Neustadt die Intensivmedizin in die neurorehabilitative Behandlung ein. Frührehabilitation ist eine spezifische Therapie, die noch während der klinischen Behandlung begonnen wird, um alle Körperfunktionen möglichst schnell wieder zu regenerieren. Der Vorteil einer Frührehabilitation mit einer Intensiv- und einer Intermedi­ate-Care-Station: Die Abteilung ist mit ausreichend Experten aus allen Behandlungsgruppen (Ärzte, Physio, Ergo etc.) unter anderem auf schwere Hirn-Traumata-Fälle und andere schwere neurologische Krankheitsbilder wie Schlaganfälle oder Hirnblutungen spezialisiert.